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SSRQ SG III/4 29-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, XIV. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen, Dritter Teil: Die Landschaften und Landstädte, Band 4: Die Rechtsquellen der Region Werdenberg: Grafschaft Werdenberg und Herrschaft Wartau, Freiherrschaft Sax-Forstegg und Herrschaft Hohensax-Gams, von Sibylle Malamud

Zitation: SSRQ SG III/4 29-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Schiedsspruch von Rudolf Kilchmatter und Jakob Glenter von Zürich sowie Hans Sigrist und Ulrich Merkli von Schwyz zwischen den Leuten von Grabs, Buchs und Sevelen einerseits und ihrem Pfandherrn, Graf Wilhelm V. von Montfort-Tettnang, andererseits

1406 Mai 1. Liechtensteig

Ammann und Landleute von Appenzell urkunden, dass es Streit gab zwischen Graf Wilhelm V. von Montfort-Tettnang einerseits und den Leuten von Grabs, Buchs und Sevelen sowie den Leuten, die Appenzeller geworden sind und dem Bund (ob dem See) geschworen haben, andererseits. Sie sind des Grafen Pfandleute und mit der Verpfändung der Herrschaft durch Rudolf II. und Hugo V. von Werdenberg-Heiligenberg an Graf Wilhelm V. von Montfort-Tettnang gekommen. Die Einigung soll bis Martini und dann weitere zwei Jahre gelten. Die Schiedsrichter Rudolf Kilchmatter und Jakob Glenter, beide von Zürich, sowie Hans Sigrist und Ulrich Märkli, beide von Schwyz, einigen die Parteien folgendermassen:

1. Wie bisher müssen die Leute dem Grafen Wilhelm Zinsen, Zehnten, Alprecht, Käsezins, Lehenzins und Vogelmahl leisten, ausgenommen der Zehnt auf Kälber.

2. Die Leute müssen für Steuern, Frondienste, Fasnachtshühner, Gerichte, Fälle und Gelässe die kommenden drei Jahre am Martinstag, oder 14 Tage davor bzw. danach, nach Werdenberg 200 Pfund Konstanzer Währung liefern.

3. Die Leute mögen die Gerichte unter sich besetzen und auflösen. Wenn jemand von den Grafenleuten, die den Bund nicht beschworen haben, Frevel und Bussen verschulden, dürfen sie die einziehen. Frevel und Bussen der Grafenleute, die in der Stadt Werdenberg anfallen, gehören dem Grafen.

4. Wenn jemand von den Grafenleuten gegen jemand von den Leuten des Bundes oder vice versa klagen will, soll er die Klage beim Wohnort des Beklagten einreichen und nirgendwo anders, ausser der Kläger wird dazu ermächtigt.

5. Wie bisher gehören dem Grafen Wildbann, Falknerei, Fischenz und Gewässer, doch die Leute dürfen bestimmte Wild- und Raubtiere wie Bären, Gämse, Dachse, Füchse, Hasen und Wölfe jagen oder fangen und Vögel schiessen.

6. Leute, die den Bund nicht beschworen haben, gehören dem Grafen.

7. Bürger der Stadt Werdenberg, die den Bund beschworen haben, auch Ulrich Beusch und Ulrich Fronberger, sollen beim Landrecht der Appenzeller verbleiben.

8. Die Bürger und die Landbewohner sollen gemeinsam Wunn und Weide, Holz und Feld und die Allmende nutzen, besetzen und entsetzen wie bisher.

9. Die Zinse auf Güter des Grafen müssen bezahlt werden, sonst kann der Graf die Güter an sich ziehen. Alle Schulden gegenüber dem Grafen sollen bis St. Gallentag bezahlt werden.

10. Hat jemand Schulden gegenüber dem Grafen und bestreitet diese, soll der Graf das Recht suchen. Der Schuldner soll vor dem Richter mit zwei Männern die Rechtslage beweisen.

11. Was die Leute von ihrer Habe in die Stadt oder auf die Burg gerettet haben, soll ihnen herausgegeben werden.

12. Der Graf, oder wer die Stadt und Burg Werdenberg besitzt, soll diese versorgen und schützen, damit den Leuten oder dem Bund ob dem See keinen Schaden geschieht.

13. Läuft dieser Vertrag aus, soll man zu den früheren Rechten zurückkehren.

14. Falls Rudolf II. und Hugo V. von Werdenberg-Heiligenberg die Grafschaft Werdenberg auslösen, soll ihnen dieser Vertrag nicht schaden.

15. Wenn jemand dem Grafen Abgaben oder sonstiges verweigert, so sollen Appenzell sowie die Städte St. Gallen und Feldkirch sie dazu bringen, dass sie dem Vertrag Folge leisten.

16. Falls jemand die in diesem Vertrag stehenden Bestimmungen bricht oder nicht einhält, soll der Graf einen Obmann wählen, der entweder aus den Ratsleuten von St. Gallen, Feldkirch oder Appenzell stammt, und einen Konferenztag bestimmen. Die Bundleute sollen Dienstmänner des Grafen Wilhelm oder Bürger von Werdenberg wählen und einen Tag in der Stadt Werdenberg festsetzen. Jeder Teil soll je zwei Schiedsrichter wählen. Der Obmann und die vier Schiedleute sollen vereidigt werden.

Es siegeln Bürgermeister und Rat der Stadt St. Gallen, Ammann und Landleute von Appenzell und Bürgermeister und Rat von Feldkirch. Erbetener Siegler Konrad Kupferschmid von Schwyz, Landammann von Appenzell.

  • Signatur: Fehlt (ehemals in Privatbesitz, 1861 durch einen Brand zerstört)
  • Originaldatierung: 1406 Mai 1 (Unsichere Lesung beim Tag, wahrscheinlich «ingenden» meyen tag)
  • Erhaltungszustand: Original verbrannt
  • Beschreibstoff: Pergament
  • Sprache: Deutsch
  • Editionen
    Regesten

  1. Das Regest und die Zitate sind hier nach der Vorlage der jüngsten Edition im Chartularium Sangallense (ChSG, Bd. 13, Nr. 7622) entstanden. Letztere beruht auf der ersten Edition von Zellweger (Zellweger, Urkunden, Bd. 1/2, Nr. 186). Zellweger ediert die Urkunde 1831Datum: 1831 nach dem Original, das jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt beschädigt ist, weshalb seine Edition einige Textlücken enthält. Von den vier Siegeln hängt damals nur noch das vierte Siegel. Die Urkunde wird 1861Datum: 1861 durch einen Brand vernichtet, Abschriften gibt es keine. Alle späteren Editionen werden deshalb nach der Edition von Zellweger gefertigt, so auch die Edition im Urkundenbuch der Abtei St. Gallen, wobei dort Schreib- und Druckfehler berichtigt und die beschädigten Stellen so gut wie möglich ergänzt werden (UBSG, Bd. 4, Nr. 2364).

    Der Ausstellungstag der Urkunde ist unsicher. Der Tag ist bereits bei Zellweger nicht mehr lesbar. Sowohl UBSG, Bd. 4, Nr. 2364 als auch ChSG, Bd. 13, Nr. 7622 schliessen aufgrund der Lücke auf den «ingenden» Mai, also den 1. Mai 1406Datum: 1.5.1406.

  2. Nach der Schlacht am StossBegriff: 1405Datum: 1405, in der die AppenzellerOrganisation: die HabsburgerOrganisation: als Verbündete des Klosters St. GallenOrganisation: schlagen, gründen die Appenzeller auf Betreiben von SchwyzOrganisation: den Bund ob dem SeeBegriff: Organisation: . Diesem Bund unter der Führung von Appenzell und der Stadt St. GallenOrganisation: schliessen sich zahlreiche Personen aus Gebieten beidseits des RheinsOrt: an. Nach der Niederlage der Appenzeller am 13. Januar 1408Datum: 13.1.1408 bei BregenzOrt: folgt die Auflösung des Bundes ob dem See am 4. April 1408Datum: 4.4.1408 (HLS; zur Gründung des Bundes vgl. Bilgeri 1968, S. 41–48).

  3. Nachdem die Appenzeller im Sommer 1405Datum: 1405 nach WerdenbergOrt: gezogen und die Stadt belagert, jedoch nicht erobert haben, treten viele LandleuteOrganisation: und Bürger von WerdenbergOrganisation: dem Bund ob dem See bei (Burmeister 1991, S. 19; Zellweger 1834, Bd. 1 S. 371–373). Der Pfandherr der Grafschaft, Wilhelm V. von Montfort-TettnangPerson: , tritt darauf in ein BurgrechtBegriff: mit ZürichOrganisation: und SchwyzOrganisation: . Schiedsrichter aus diesen beiden Orten vermitteln deshalb zwischen dem Grafen und seinen Leuten, die Appenzeller Landleute geworden sind. Wilhelm V. kann seine Stellung in Werdenberg behaupten, muss seinen Pfandleuten und den Appenzeller Landleuten jedoch einige Zugeständnisse machen.

Editionstext

AmmannBegriff: und Landleute von AppenzellOrganisation: urkunden, dass es Streit gab zwischen Graf Wilhelm V. von Montfort-TettnangPerson: einerseits und den Leuten von GrabsOrganisation: , BuchsOrganisation: und SevelenOrganisation: sowie den Leuten, die Appenzeller LandleuteOrganisation: geworden sind und dem Bund (ob dem See)Begriff: Organisation: geschworen haben, andererseits. Sie sind des Grafen Pfandleute und mit der VerpfändungBegriff: der Herrschaft durch Rudolf II.Person: und Hugo V. von Werdenberg-HeiligenbergPerson: an Graf Wilhelm V. von Montfort-Tettnang gekommen. Die Einigung soll bis MartinPerson: i und dann weitere zwei Jahre gelten. Die Schiedsrichter Rudolf KilchmatterPerson: und Jakob GlenterPerson: , beide von ZürichOrt: , sowie Hans SigristPerson: und Ulrich MärkliPerson: , beide von SchwyzOrt: , einigen die Parteien folgendermassen:
1. Wie bisher müssen die Leute dem Grafen WilhelmPerson: ZinsenBegriff: , ZehntenBegriff: , AlprechtBegriff: , KäsezinsBegriff: , LehenzinsBegriff: und VogelmahlBegriff: leisten, ausgenommen der ZehntBegriff: auf KälberBegriff: .
2. Die Leute müssen für SteuernBegriff: , FrondiensteBegriff: , FasnachtshühnerBegriff: , GerichteBegriff: , FälleBegriff: und GelässeBegriff: die kommenden drei Jahre am MartinPerson: stag, oder 14 Tage davor bzw. danach, nach WerdenbergOrt: 200 Pfund Konstanzer WährungWährung: 200 Konstanzer Pfund liefern.
3. Die Leute mögen die Gerichte unter sich besetzen und auflösen. Wenn jemand von den Grafenleuten, die den Bund nicht beschworen haben, Frevel und BussenBegriff: verschulden «in der geseiten luͤte gerihten, dieselben bußen und fraͤflinen mugent och die jettzgedahten luͤte nemen.» Wenn Grafenleute in der Stadt WerdenbergOrt: Frevel und Bussen verschulden, gehören diese dem Grafen.

4. Wenn jemand von den Grafenleuten gegen jemand von den Leuten des Bundes oder vice versa klagen will, soll er die Klage beim Wohnort des Beklagten einreichen und nirgendwo anders, ausser der Kläger wird dazu ermächtigt.
5. Wie bisher gehören dem Grafen WildbannBegriff: , FalknereiBegriff: , FischenzBegriff: und GewässerBegriff: , doch die Leute dürfen bestimmte Wild-Begriff: und RaubtiereBegriff: wie BärenBegriff: , Gämse, Dachse, Füchse, Hasen und Wölfe jagen oder fangen und Vögel schiessen.1
6. Leute, die den Bund nicht beschworen haben, gehören dem Grafen.
7. Bürger der Stadt WerdenbergOrt: , die den Bund beschworen haben, auch Ulrich BeuschPerson: und Ulrich FronbergerPerson: , sollen beim LandrechtBegriff: der Appenzeller verbleiben.
8. Die BürgerOrganisation: und die LandbewohnerOrganisation: sollen Wunn und Weide, Holz und Feld und «gemeinmerk meßen,2 besetzen und entsetzen» wie bisher. Sie sollen auch miteinander «wandeln und werben mit koffen, mit eßen und mit trenken».
9. Die Zinse auf Güter des Grafen müssen bezahlt werden, sonst kann der Graf die Güter an sich ziehen. Alle SchuldenBegriff: gegenüber dem Grafen sollen bis St. GallenPerson: tag bezahlt werden.
10. Hat jemand Schulden gegenüber dem Grafen und bestreitet diese, soll der Graf das Recht suchen. Der Schuldner soll vor dem Richter mit zwei Männern die Rechtslage beweisen.
11. Was die Leute von ihrer Habe in die Stadt oder auf die Burg «ze behalten befolhen ald darin gefloͤht hand», soll ihnen herausgegeben werden.3
12. Der Graf, oder wer die Stadt und Burg WerdenbergOrt: besitzt, soll diese versorgen und schützen, damit den Leuten oder dem Bund ob dem SeeBegriff: Organisation: («bund ob dem Bodense») keinen Schaden geschieht.
13. Läuft dieser VertragBegriff: aus, soll man zu den früheren Rechten zurückkehren.
14. Falls Rudolf II.Person: und Hugo V. von Werdenberg-HeiligenbergPerson: die Grafschaft WerdenbergOrt: auslösen, soll ihnen dieser Vertrag nicht schaden.
15. Wenn jemand dem Grafen AbgabenBegriff: oder sonstiges verweigert, so sollen AppenzellOrganisation: sowie die Städte St. GallenOrganisation: und FeldkirchOrganisation: sie dazu bringen, dass sie dem Vertrag Folge leisten.
16. Falls jemand die in diesem Vertrag stehenden Bestimmungen bricht oder nicht einhält, soll der Graf einen ObmannBegriff: wählen, der entweder aus den Ratsleuten von St. GallenOrganisation: , FeldkirchOrganisation: oder AppenzellOrganisation: stammt, und einen Konferenztag bestimmen. Die Bundleute sollen Dienstmänner des Grafen WilhelmPerson: oder Bürger von WerdenbergOrganisation: wählen und einen Tag in der Stadt WerdenbergOrt: festsetzen. Jeder Teil soll je zwei SchiedsrichterBegriff: wählen. Der Obmann und die vier Schiedleute sollen vereidigt werden.
Es siegeln Bürgermeister und Rat der Stadt St. GallenOrganisation: , Ammann und Landleute von AppenzellOrganisation: und Bürgermeister und Rat von FeldkirchOrganisation: . Erbetener Siegler Konrad4 KupferschmidPerson: von Schwyz, Landammann von Appenzell. Ausgestellt in LichtensteigOrt: .

Anmerkungen

    1. Vgl. dazu Gabathuler 2005, S. 149–151.
    2. Nach Zellweger (Zellweger, Urkunden, Bd. 1/2, Nr. 186). UBSG, Bd. 4, Nr. 2364 und ChSG, Bd. 13, Nr. 7622 korrigieren aus «meßen nießen», lassen jedoch das «gemeinmerk». Es heisst wohl «gemeinwerkBegriff: nießen»: Allmendland, Gemeindeland nutzen.
    3. Bei der Belagerung von Werdenberg durch die Appenzeller im Sommer 1405Datum: 1405 fliehen viele Einwohner mit ihrer Habe in die Stadt. Die Stadt wird jedoch nicht erobert. Die Habe soll ihnen hier wieder zurückgegeben werden.
    4. Die Originalurkunde ist bereits 1831, als Zellweger sie ediert, beschädigt (Zellweger, Urkunden, Bd. 1/2, Nr. 186). In der Edition von Zellweger ist der Vorname deshalb nicht lesbar. Ein Konrad Kupferschmid von Schwyz ist 1404 als Landammann von Appenzell belegt (HLS). Siehe dazu auch ChSG, Bd. 13, Nr. 7622.